Meine „Gute Frage“ im Magazin der Süddeutschen Zeitung

Quelle: Magazin Süddeutsche Zeitung, 40/2019

Vor einiger Zeit schrieb ich eine Frage an die Kolumne „Gute Frage“ vom Magazin der SZ. In der Ausgabe vom 4. Oktober 2019 könnt ihr die sehr köstliche Antwort von Johanna Adorján lesen.

Hier meine Frage:
»Ich bin Opernsänger und habe auf Familienfesten oft gern von mir aus einen musikalischen Beitrag geliefert, wenn ich passende Stücke gefunden habe. Mittlerweile hat sich das so verselbstständigt, dass meine Verwandtschaft bei jeder Zusammenkunft erwartet, dass ich etwas von mir gebe. Ich möchte mal als Privatperson mit den anderen feiern und nicht das ›Zirkusäffchen‹ sein – darf ich dann ehrlich sagen, dass ich keine Lust habe zu singen? Meistens habe ich gelogen und mich auf Halsweh oder Überlastung herausgeredet.«
Martin B., Frankfurt a. M.

Johanna Adorján antwortet:
»Auf diese Frage warte ich schon mein ganzes Leben.
Hier meine Antwort: Machen Sie es so, wie alle anderen Bühnenperformer es auch machen. Lassen Sie sich lange genug ­bitten, um wirklich im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Tun Sie dann mit großer Geste den Leuten den Gefallen. Sagen Sie aber vorher unbedingt, dass Sie eigentlich erkältet sind. Erklimmen Sie mit Leidensmiene die Bühne (wahlweise: stellen Sie sich im Wohnzimmer/vor dem Büfett in Positur). Räuspern Sie sich lange und ernst (wahlweise: stimmen Sie mehrere Minuten lang Ihr Instrument). Und dann singen (wahlweise: spielen, rezitieren) Sie. Aber, und jetzt kommt’s: viel zu lang. Man hatte gedacht, Sie würden ­einem mit einem kleinen Menuettchen die Petits Fours versüßen, aber Sie gehen aufs Ganze, wagen den Gesangsmarathon. ­

Genießen Sie, wie sich die begeisterten Mienen Ihrer Verwandtschaft binnen ­weniger Stunden in qualvolles Dahindämmern verwandeln. Teasen Sie einmal eine Art vorfinale Coda an, und wenn Sie merken, dass Ihr Publikum Hoffnung schöpft, sich zu regen beginnt, sich alle aufrecht hinsetzen und die Hände schon leicht anheben, um zeitnah zu applaudieren, hängen Sie eine Wiederholung dran. Von ganz vorn. Aber nicht hetzen, eher etwas langsamer jetzt. Wenn Sie selbst nicht so viel Zeit haben: Singen Sie, aber singen Sie schlecht. Ruhig was Modernes. Atonal, Zwölfton oder irgendwas, was Sie so richtig nicht können. Kennen Sie »Hurz«, den großen Sketch von Hape Kerkeling? Wenn nicht, googeln Sie ihn. Dies sei Ihr Vorbild.

Andere Möglichkeit: Satteln Sie um. Werden Sie Schuhverkäufer, Supermarkt­kassierer, Verkehrspolizist. Die werden bestimmt nie gebeten, im privaten Rahmen das Zirkusäffchen zu geben, und wenn, dann muss es echt ein sehr humorvoller privater Rahmen sein. Na ja, oder werden Sie Journalist.«

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