Mein „Morgen“
Aufnahme in St. Ludwig, München, im Rahmen des Konzerts „Licht, Lied, Ludwigskirche“,
November 2019, am Klavier: Stephan Heuberger
Wenn ich an dieses Lied von Richard Strauss denke, steigen in meinem Kopf sofort Bilder von berühmten Sängerinnen und Sängern bei bedeutenden Musikfestivals auf.

Von den 60er-/70er-Jahren bei den Salzburger Festspielen, den Münchner Opernfestspielen, mit Lucia Popp oder Gundula Janowitz mit hoch aufgetürmter Bienenkorbfrisur – bis in die Gegenwart.
Ein Juwel der Lied- und musikalischen „Hoch“-Kultur!


Umso spannender war es dann, beim Studium des „Morgen!“ am heimischen Klavier sich mit dem Textdichter, John Henry Mackay, zu befassen: Ein schwuler deutscher Dichter und Publizist schottischer Abstammung, der sich mit dem „individualistischen Anarchismus“ befasste und unter dem Pseudonym „Sagitta“ Romane über die „namenlose“, „griechische“ Liebe schrieb.
Für seinen Roman „Der Puppenjunge“, einer Liebesgeschichte zwischen einem fünfzehnjährigen Strichjungen und einem etwa gleichaltrigen Buchhändler im Berlin der 20er-Jahre, recherchierte Mackay ausführlich vor Ort in der schwulen Subkultur der Stadt.

Die Bio von John Henry Mackay, erschienen in der Bibliothek rosa Winkel (Klick hier: https://tinyurl.com/y53sq8c3). Wer sich für das Berlin der 20er interessiert, für Leute wie Christopher Isherwood oder W. H. Auden, dürfte das mit Interesse und Vergnügen lesen.
Mackay starb im Mai 1933 kurz nach den ersten Bücherverbrennungen der Nazis.
Es ist davon auszugehen, dass auch Bücher von „Sagitta“ Opfer der Flammen wurden.
Der Kontakt zu Richard Strauss war zeitweise recht eng, sie diskutierten auch leidenschaflich über politische und philosophische Themen.
Strauss vertonte zwei Gedichte Mackays in seinem Opus 27, einem Hochzeitsgeschenk für seine Frau Pauline, „Morgen!“ und „Heimliche Aufforderung“, sowie das Gedicht „In der Campagna“.
Auch Max Reger ließ sich von Mackay inspirieren und machte „Morgen!“ zu einem seiner zehn Lieder, Opus 66 – auch ein Geschenk zur Hochzeit!
Mackays Worte fanden darüber hinaus Eingang in Lieder von Eugene d’Albert und Arnold Schönberg.
Singt man mit all diesem Wissen im Hinterkopf „Morgen!“ anders?
Das vielleicht nicht, aber es ermutigt hoffentlich sowohl Interpret und als auch Zuhörer, vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte Mackays den „Morgen!“ in einem anderen, neuen Licht zu sehen, eigene Gedankenräume zu öffnen und das Lied ganz nah an sich heranzuholen.